Selbstjustierung – welche Autorin Persönlichkeit bin ich?

Erzähl mir eine Geschichte und ich sag dir wer du bist.

— Lajos Egri

Sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen von Geschichten geht es um selektive Wahrnehmung: Was spricht mich an, was lehne ich ab, was versetzt mich in Hochspannung, was langweilt mich? Vieles ist verhandelbar, aber der persönliche Geschmack ist nicht verhandelbar. Hier bilden wir uns schnell eine Meinung und das wäre auch völlig in Ordnung so, wenn darüber Konsens herrschen würde. Doch wenn es darum geht, eine Geschichte professionell zu beurteilen, verschanzen wir uns lieber hinter theoretischen Allgemeinplätzen, anstatt ehrlich die Karten auf den Tisch zu legen. 

Eine Produzentin, die ihr Augenmerk auf den Plot Effekt legt, wird sich schwer davon überzeugen lassen, dass für mich die innere Logik einer handelnden Figur im Vordergrund steht. Umgekehrt werde ich diese Produzentin kaum davon überzeugen können, doch bitte meiner Vision zu folgen. Im schlimmsten Fall entwickelt sich eine solche Zusammenarbeit zu einem permanenten Machtkampf, bei dem die jeweils eine Seite die andere letztlich vom persönlichen Geschmack überzeugen will. Und das führt nicht nur zur Frustration unter den Beteiligten, sondern sehr oft auch zu Brei und schlechten Ergebnissen. 

Darum lege ich lieber von Anfang an die Karten auf den Tisch.  Wer die Zusammenarbeit mit mir sucht, sollte wissen, dass ich grundsätzlich character-driven erzähle. Und davon überzeugt bin, dass in allem, was Menschen umtreibt, bereits das Potential für eine großartige Geschichte steckt. 

Aristoteles leugnete die Bedeutung von character, seiner Meinung nach war die Handlung das Wichtigste. Die Ereignisse wurden von den Göttern vorgegeben und die Menschen taten, was für sie vorgesehen war. Dafür hat er Regeln aufgestellt, die einer bestimmten Drama Struktur folgen und bis heute Bestand haben. Allerdings ist es sinnlos eine Heldenreise zu unternehmen, wenn sie nicht Spannung erzeugt und Komplikationen schafft.  Beides lässt sich – meiner Erfahrung nach - nicht über einen vorher zementierten Plot herbeiführen. Es muss eine übergreifende Kraft geben, die das Geschehen permanent verändert und diese Kraft ist der menschliche Charakter mit all seinen Widersprüchen.

Es gibt sehr erfolgreiche Filme, die allein aus einem starken Plot heraus Spannung generieren und das Ereignis selbst zu einer Art Hauptdarsteller machen. Genauso existieren sehr erfolgreiche Formate, in denen der character (nicht nur ein einzelner, sondern der gesamte Hauptcast) permanent vor die Wahl gestellt wird, eine Entscheidung zu treffen und damit dem Plot eine unerwartete Wendung zu geben.  Gleichzeitig nimmt der Druck auf den character zu. Bildlich gesprochen biegt der character an der Ampel plötzlich links ab, obwohl er bisher immer rechts abgebogen ist und dadurch löst er eine Eskalation der Ereignisse aus, die seine ohnehin angespannte Situation noch schlimmer machen. Dabei interessiert mich immer, wie sich ein Mensch verändert und warum er sich verändern muss, ob er will oder nicht. Meistens entwickeln diese Figuren einen unbeugsamen Kampfeswillen und fordern damit entgegen gesetzte Willenskräfte heraus. Daraus entstehen weitere Konflikte, die sich solange steigern, bis eine der Figuren ihr Ziel erreicht oder geschlagen wird.  

Diese Dynamik hat sehr oft mit den Emotionen der Figuren zu tun, die sie nicht (mehr) unter Kontrolle haben. Auch wenn wir uns im Alltag stets um rationale Sachlichkeit bemühen und eher befremdet auf Menschen reagieren, die ihr Herz auf der Zunge tragen, sind es genau solche Charaktere, die uns in Geschichten faszinieren: Menschen, die peinlich, zu laut, hemmungslos, manisch, gefährlich oder ignorant sind. Menschen, die sich auflehnen, ihre Freiheit verteidigen, sich für Gerechtigkeit einsetzen, um im nächsten Moment ihre eigenen Werte zu verraten.  Selbst deren Widersprüchlichkeit packt uns, denn heimlich wünschen wir uns auch mal peinlich, laut, intrigant oder völlig enthemmt reagieren zu können – ohne gleich persönliche Konsequenzen befürchten zu müssen.  

Filme und Serien, die mir besonders gut gefallen, schaue ich mir mehrfach an, um ihrem Storytelling-Geheimnis auf die Spur zu kommen. Doch eigentlich läuft es immer auf das gleiche Resultat hinaus: Es sind die Charaktere, deren Qualitäten sich im Laufe der Ereignisse entblättern, die einen emotionalen Sog erzeugen und letztlich ihr eigenes Stück schreiben. 

That’s it.